Vor kurzem ging ein Aufschrei durch die Medien. Grund: Yahoo!-Chefin Marissa Mayer führt die Anwesenheitspflicht für alle ihre Beschäftigten wieder ein. Auch für diejenigen, die nicht ausschließlich, sondern nur an ein oder zwei Tagen pro Woche von zu Hause aus arbeiten. Während das Home Office allerorten als das Modell für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gepriesen wird und sich IT-Unternehmen mit Entwicklungen auf dem Gebiet mobiler Lösungen für (fast) alles überbieten – teils sogar die Zahl fester Büroarbeitsplätze reduzieren – macht ausgerechnet eine junge Mutter und Vorstandsvorsitzende eines Internetriesen Furore mit einer Entscheidung, die nicht nur weibliche Angestellte des Konzerns als äußerst unflexibel empfinden müssen.
Was genau Ursache und Ziel des berüchtigten „Memos“ an alle Mitarbeiter von Yahoo! war, wird Spekulation bleiben müssen. Ein geschickter Marketing-Schachzug, um dem Unternehmen mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen? Oder tatsächlich das in dem Schreiben geäußerte Ziel, Tempo, Qualität und Gemeinschaftsgefühl („We need to be one Yahoo!“) zu steigern?
Fest steht: Die Möglichkeiten elektronischer Kommunikation und deren exzessiver Gebrauch in allen Bereichen machen die klassische „Präsenzkultur“, wie sie vor noch 30 oder 40 Jahren in Unternehmen herrschte, immer überflüssiger. Gut möglich, dass, wenn mancherorts feste Büroarbeitsplätze sogar ganz abgebaut werden und Mitarbeiter kaum mehr persönlich im Office aufeinandertreffen, auch Nachteile für die Teamatmosphäre entstehen, auf die Marissa Mayer glaubte, so brachial reagieren zu müssen. Grundsätzlich stimmt: Die Verherrlichung von Kommunikationsmedien wie Videokonferenz und social media darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor, gerade bei konzeptionellen und strategischen Herausforderungen die direkte Diskussion und Kommunikation am runden Tisch ein effektives Mittel zur Ideen- und Entscheidungsfindung ist. Hier ist es wenig hilfreich, wenn die Beteiligten nur remote dabei sind.
Besonders häufig kreist die Debatte um die „Heimarbeit“ aber noch um zwei andere Behauptungen:
Behauptung 1: Die Produktivität von Mitarbeitern ist unabhängig vom Arbeitsplatz
Ja, aber nur bedingt. Und zwar genau dann, wenn dieser es zulässt, konzentriert zu arbeiten und dabei so viel oder wenig Kommunikation mit den Kollegen und Vorgesetzten ermöglicht, wie für die Erreichung von Zielen notwendig ist. Unproduktiv ist, wer, egal ob zu Hause oder im Büro, an seinem Arbeitsplatz nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, um mit der Arbeit voranzukommen. Verschlossene Türen, starre Hierarchien oder zu viel Mikro-Management im Office können hier ebenso lähmend sein wie daheim das Fehlen direkten Kontakts zu Kollegen und die Gefahr privater Ablenkung.
Behauptung 2: Home Office ist das perfekte Modell für berufstätige Eltern
Das Thema Home Office wird in Publikationen oft von Fotos mit folgenden oder ähnlichen Szenerien begleitet: Während eine top-gestylte Business-Mama zu Hause am Schreibtisch arbeitet, beschäftigt sich im Hintergrund oder gar auf dem Tisch neben dem Laptop ein fröhliches Kleinkind brav allein. Sie erstellt eine komplizierte Abrechnung, während sich das Mittagessen von selbst kocht und der Haushalt sie vollkommen kalt lässt. Das mag minuten- oder gar stundenweise so funktionieren. Fakt ist aber: Soll die Option Home Office für Arbeitgeber und -nehmer eine wirklich ernstzunehmende und mit dem Büroarbeitsplatz vergleichbare Alternative sein, macht sie eine Kinderbetreuung während der Arbeitszeiten nicht obsolet, sondern erforderlich.
Das eigentlich Familienfreundliche am Home Office ist nicht das „Zu-Hause-bleiben“, sondern die Auflösung der klassischen 9 to 5 – Taktung. Gegebenenfalls auch die räumliche Nähe zu zentralen Orten des Familiengeschehens wie Schule und Kita. Zum Beispiel, wenn mitten am Tag Familienpflichten wie Bring- und Abholgänge, Arztbesuche und besondere Ereignisse im Schul- oder Kita-Leben anstehen und die Arbeit kurz unterbrochen werden kann. Wenn spontan und kurzzeitig „Betreuungsnotstand“ ausbricht oder größere Kinder sich zwar längere Zeit selbst beschäftigen aber noch nicht allein zu Hause bleiben können. Wenn es so möglich wird, Arbeit weitgehend nach den Anforderungen des Familienlebens zu organisieren und nicht umgekehrt.
Zielvereinbarungen und „Zurück ins Büro-Memos“ hin oder her. Letztendlich sollte es bei der Entscheidung für ergebnis- statt präsenzorientierte Arbeitszeitmodelle nicht darum gehen, die besten Kontrollmaßnahmen, sondern vor allem Vertrauen zu entwickeln. Vertrauen seitens der Arbeitgeber, dass die sorgfältig ausgesuchten Mitarbeiter genug Verantwortungsgefühl und Disziplin besitzen, vereinbarte Ziele auch dann zu erfüllen, wenn sie nicht am Platz sind. Und bereit sind, am Platz zu sein, wenn dies notwendig ist. Vertrauen aber auch von Arbeitnehmern, besonders von Frauen, in Möglichkeiten der kompetenten Betreuung von Kleinkindern. Und von beiden Seiten die grundsätzliche Bereitschaft, den ständig wechselnden Anforderungen des Alltags flexibel und nicht per Hau-Ruck-Verordnung zu begegnen – mit mal mehr, mal weniger physischer Anwesenheit, beruflich wie privat.
Links zum Thema:
- Blog Meine Firma und ich: Die ideale Struktur für den Arbeitstag im Home Office finden
- Artikel auf Nebenjob.de: Haushalt, Kinder und das Home Office managen
- Pressereaktion mit Link zum Original-Memo von Yahoo!