Der Begriff Großraumbüro löst bei den meisten nicht die besten Assoziationen aus, schnell sind Vergleiche wie „moderne Freilandhaltung“ oder „Kaninchenstall“ zur Hand. Studien zu Großraumbüros bestätigen: Stress, Lärm und Unruhe senken die Produktivität der Mitarbeiter nachweislich, führen zu höherem Krankenstand und erzeugen damit schnell Kosten, die durch die effizientere Nutzung der Büroflächen eigentlich hätten eingespart werden sollen.
In ihrem Buch „Still“ beschreibt die US-amerikanische Verhandlungstrainerin Susan Cain eindrücklich, wie sehr die äußeren Bedingungen am Arbeitsplatz heute einseitig auf einen bestimmten Menschentypus ausgerichtet sind. Einen eher extrovertierten, auf schnelle Kommunikation und Entscheidungen fokussierten Menschen wird die Arbeit in einem Umfeld emsiger Betriebsamkeit und mit wenig Privatsphäre weniger in seiner Leistungsfähigkeit beeinflussen als einen introvertierten Typus. Cains Untersuchungen bringen aber ans Licht, dass eben dieser mit seiner überlegten, tiefgründigen und eher zurückhaltenden Art schätzungsweise ein Drittel der (arbeitenden) Menschheit ausmacht – und dazu gehören nicht wenige erfolgreiche Unternehmerpersönlichkeiten.
Dennoch: An einem ergrauten Konzept verschlossener Türen und miefiger Einzelbüros festzuhalten, ist heute in vielen Branchen und Unternehmen überholt. Wo Prozesse ständig koordiniert und abgestimmt werden müssen, flache Hierarchien herrschen und nicht alle Mitarbeiter ständig anwesend sind, erweisen sich offene Raumlösungen als praktisch und praktikabel. Besonders die Ideenfindung für neue Produkte und Dienstleistungen – ein Bereich, der in Zeiten sich rasant verschärfender Markt- und Wettbewerbsbedingungen immer wichtiger wird – benötigt eine anregende Umgebung mit kurzen Wegen und der Möglichkeit zur schnellen gemeinsamen Entscheidungsfindung. Nicht nur die Führung, sondern auch der Raum möchten hier die Botschaft vermitteln: Bitte (mehr) kommunizieren!
Wie kann also eine Bürogestaltung gelingen, die Kommunikation erleichtert ohne dass diese gleichzeitig für andere zum Störfaktor wird? Die Kreativität und Konzentration ermöglicht statt Stress und Krankheit zu erzeugen? Die Individualisten und Introvertierte ebenso fördert und berücksichtigt wie Entertainer und Teamplayer? Und wie überzeugt man an das alte Konzept gewohnte Kollegen davon, das „eigene Reich“ zugunsten verringerter oder gar nicht mehr vorhandener Schreibtisch- und Ablageflächen aufzugeben?
Für die Zufriedenheit der Mitarbeiter im „Open Space Office“ sollten in erster Linie die Basisvoraussetzungen für konzentriertes Arbeiten erfüllt sein, z.B. durch richtige Beleuchtung und ein den Umständen angepasstes Akustik- und Farbkonzept. Dazu kommt die Einteilung in Zonen: Einerseits sogenannte „Nester“, also abgeschlossene Einheiten, in die man sich zurückziehen kann, andererseits belebtere Zonen, z.B. Sitzecken für kurze Meetings, „Marktplätze“ und Cafés zur Kommunikation, Telefonkabinen für ungestörte Gespräche, gegebenenfalls auch Unterhaltungsangebote wie Kicker oder Fitnessbereich. Dass die Umstellung auf die Arbeit im Open Space und die richtige Nutzung der eingerichteten Zonen besonders für diejenigen gewöhnungsbedürftig ist, die vorher ihr eigenes Büro hatten, sollte in der Planungs- und Anfangsphase berücksichtigt werden, z.B. indem Verbesserungsvorschläge aufgenommen und die Möglichkeit gegeben wird, Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen.
Schöne neue bunte Bürowelt also? In so manchem Großunternehmen scheint der „Ernst der Arbeit“ völlig hinter einer hippen Raumgestaltung im Stil moderner Familien-Freizeitparks zu verblassen. Großraum ist out. Open Space ist in. Doch nicht nur optisch ist die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeitumfeld mittlerweile vielerorts aufgehoben: Aufgrund der Tatsache, dass viele Kollegen fast ständig unterwegs sind und einige das Home Office nutzen, schaffen große Unternehmen wie z.B. Microsoft oder Siemens seit Neuestem weniger Arbeitsplätze vor Ort als sie feste Mitarbeiter haben. Eigene Schreibtische gehören dort der Vergangenheit an: Wer im Büro arbeitet, sucht sich jedes Mal von neuem einen Platz und bringt seinen eigenen Laptop mit. „Bring your own device (BYOD)“, zentrales Thema auch des letzten Cisco-Partnersymposiums im November 2012, ist eine der wichtigsten Herausforderungen an den Arbeitsplatz der Zukunft – und auch eine für IT-Berater, die räumliche Aspekte mit im Blick haben müssen.
Erfolgreich umgesetzt trägt dieses Konzept mobilen Arbeitens, ob bewusst oder unbewusst, auch der Erkenntnis Rechnung, dass für Innovation und Kreativität eben doch auch echte Rückzugsräume nötig sind. Im Home Office, unterwegs, in der Natur oder beim Sport kommen Menschen oft bessere Ideen als am Schreibtisch. Und dies ist die hoffnungsvolle Prognose für alle, die sich mit „Open Space“ genauso schwer tun wie mit „Großraum“: In der Zukunft werden immer mehr Unternehmen eine „Vertrauenskultur“ pflegen und flexible Arbeitsformen im Sinne einer besseren Work-Life-Balance möglich machen.
Buchtipp:
Susan Cain: Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt. München: Riemann Verlag, 2011