Wem nutzt eigentlich der Vertrieb?

Wem nutzt eigentlich der Vertrieb?

sxc.hu - by wagg66
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Kaum ein Fachbeitrag über den Vertrieb, der heute nicht eröffnet mit dem Beklagen des allgemeinen Preisverfalls in erodierenden Märkten, dem Lamentieren über gewissenlose Einkaufspolitik der Unternehmen, die einfach so langjährige Beziehungen aufkündigen, nur weil ein Wettbewerber etwas günstiger ist, und dem Feststellen zunehmender Vergleichbarkeit der Produkte, aufgrund der eine glaubhafte Differenzierung immer schwieriger werde.

Umso merkwürdiger, dass eine sinnvolle vertriebliche Reaktion auf diese – übrigens alles andere als neuen – Trends weiterhin selten zu finden ist. Wobei ich betonen möchte, dass ich ein unreflektiertes Senken der Preise ebenso für nicht sinnvoll halte, wie die durchaus gut gemeinte Absicht, meinen Kunden mit Informationen zu überhäufen (im Vertriebsdeutsch nennen wir das fälschlicherweise oft „Beratung“), die diesen weder interessieren noch er sie benötigt.

Die Frage, die sich hier stellt, und zu deren Antwort ich einen kleinen Teil beitragen möchte lautet schlicht und einfach:

„Welchen Mehrwert bietet der Vertrieb dem Kunden?“

Hierzu lohnt ein Blick in das bereits im Jahre 1999 veröffentlichte Buch „Rethinking the Sales Force“ von Neil Rackham und John de Vincentis, aus dem ich einen zentralen Gedanken hier anführen möchte.

Die beiden Autoren unterscheiden zwischen verschiedenen Arten von Einkaufsmentalitäten, die sie
a)    intrinsisch
b)    extrinsisch
c)    strategisch
nennen.

Jede Mentalität ruft dabei nach einer eignen vertrieblichen Strategie. Wählt man die falsche Strategie (und das geschieht nach meiner Erfahrung nicht selten) kann das äußerst nachteilige Folgen haben.

Intrinsische Einkaufsmentalität
Als „intrinsisch“ motiviert versteht man Kunden, die Ihr Angebot als verhältnismäßig austauschbar einschätzen. Die Kunden sind in diesen Bereichen in der Regel bestens informiert und extrem auf den Preis des Produktes fokussiert. In den letzten Jahren haben Einkäufer hier ihre Lieferantenanzahl drastisch reduziert und setzen nur noch auf wenige Anbieter, mit denen sie sehr günstige Rahmenvertragskonditionen vereinbart haben.

Beispiele:
Büromaterial, Telefontarife, reine Hardware, „einfache“ Software, Autos etc.

Vertrieblicher Kunden-Nutzen:
Gestalten Sie Ihren Einkaufsprozess für den Kunden so einfach & schlank wie möglich, senken Sie Ihre Vertriebskosten radikal und kalkulieren Sie so einen günstigeren Preis. Verzichten Sie auf „Beratungsgespräche“ mit Ihren Ansprechpartnern, wenn Sie ihnen nichts erzählen können, was diese wirklich interessiert oder sie nicht sowieso schon wissen. Tragischerweise böten Sie in einem solchen Fall nicht nur keinen Mehrwert, sondern würden sogar Wert zerstören.


Extrinsische Einkaufsmentalität

Extrinsisch motiviert sind Kunden, denen Sie dazu verhelfen können, ihr Problem und dessen Auswirkungen besser zu verstehen (gar nicht selten auch zu realisieren, dass sie überhaupt eines haben), und mit ihnen gemeinsam eine Lösung zu entwickeln, die sie allein nicht hätten auf die Beine stellen können. Der Vorteil bei dieser Art Kundenbeziehung liegt darin, dass sie deutlich weniger preissensitiv sind, als die intrinsisch motivierten Kunden. Das Business ist jedoch alles andere als leichter (siehe Vertrieblicher Kunden-Nutzen).

Beispiele:
Komplexe IT-/ Softwareprojekte, Consulting, diverse Investitionsgüter, komplexe Finanzprodukte etc.

Vertrieblicher Kunden-Nutzen:
Beginnen Sie, ein tiefes Verständnis für das Business ihrer Kunden zu entwickeln. Lernen Sie in Business-Cases zu denken und dabei die Perspektive Ihres Kunden einzunehmen: Wenn Sie Ihr Kunde wären, warum würden Sie sich für dieses Angebot entscheiden? Wie kann Ihr Angebot Probleme lösen und welcher messbare Businessnutzen generiert sich daraus?
Insbesondere gewinnen Sie solche Projekte dadurch, dass Sie von Beginn an in den Einkaufprozess Ihres Kunden involviert sind und diesen mit gestalten.  Der Abschluss ist dann eher eine logische Konsequenz guter Vorarbeit. Solche Kundenbeziehungen werden oft erst bei den Zweit- und Drittprojekten richtig profitabel, da Sie dann auf den Vorerfahrungen mit dem Kunden aufbauen können und ihr Aufwand geringer wird, als im Erstprojekt. Versuchen Sie also, mit Ihrem Kunden gemeinsame Roadmaps zu entwickeln.

Strategische Einkaufsmentalität
Der Vollständigkeit halber soll hier auch noch der strategisch motivierte Kunde aufgeführt werden. Bei dieser Art von Kundeninteraktion ist nicht mehr wirklich klar, wer Kunde und wer Lieferant ist. Man entwickelt zum Beispiel ein gemeinsames Produkt, fährt einen gemeinsamem Vertriebsansatz oder nutzt synergetische Effekte. Beispiele hierfür finden sich in der Mobilfunkwelt (Betriebssystem und Hardware), teilweise bei Automobilzulieferern, im High-End IT-Bereich etc.
Eine solche strategische Partnerschaft ist extrem aufwendig, erfordert volles Engagement des Managements beider Unternehmen und birgt dabei sowohl erheblich Chancen als auch Risiken. In jedem Falle geht es deutlich über das hinaus, was wir gemeinhin unter „Vertrieb“ verstehen und sollte daher sehr genau geprüft werden. Z.B.: Passen die Kulturen zueinander? Befinden sich beide Partner auf Augenhöhe? Gibt es eine gemeinsame Strategie und Ziele? Was passiert im Trennungsfalle? sind nur einige von vielen Fragen, die solide beantwortet sein sollten.
Zu guter Letzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass es von all diesen Mentalitäten und Strategien natürlich Mischformen gibt, und dass sie eine Funktion von Unternehmen, Ansprechpartner, und natürlich auch den entsprechenden Produkten sind.

Vielleicht ist es ja für Sie sinnvoll, in einer ruhigen Minuten Ihre Kunden durchzugehen, sie in die entsprechenden Mentalität einzuorden und diese Einschätzung bei den nächsten Kontakten zu verifizieren. Ich kann es Ihnen nur empfehlen.

Herzlichst, Ihr
Frank Fäder

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