Sind Sie sich in Ihrem Leben auch schon einmal vorgekommen wie in einem Videospiel? Eigentlich möchten Sie doch „die gefangene Prinzessin befreien“, haben sich also Großes und Ehrenhaftes vorgenommen. Aber dann kommen ständig andere Dinge und unverhoffte Hindernisse dazwischen, Sie verzetteln sich in den vielen kleinen Herausforderungen des Hier und Jetzt, und kommen einfach nicht mehr weiter.
Wenn Sie sich zu oft den Schädel einrennen oder gar das eine oder andere game over erleben müssen, schwindet nebenbei das Selbstvertrauen, das für den finalen Befreiungsschlag notwendig wäre. Und obwohl Ihnen längst klar ist, dass Sie sich in einem stupiden Spiel befinden, von dem Sie nichts haben, weil Sie nur noch reagieren statt selbst zu gestalten, ist es schwer sich davon loszusagen – schließlich haben Sie sich selbst perfekt auf die damit verbundenen kleinen Erfolgserlebnisse (juhu, nächstes Level!) konditioniert.
Genauso ist es oft am Arbeitsplatz, in Unternehmen und im Privatleben: Ein bestimmtes Programm läuft durch, ohne dass wir es selbst merken und oft dauert es eine ganze Weile oder es muss erst etwas gravierend Negatives passieren, bis wir uns bewusst werden, dass wir schon lange den Mut hätten aufbringen müssen, etwas grundlegend zu ändern und unsere Komfortzone zu verlassen.
Besonders, wenn diese dauerhaft bequem war und es bisher keine Gründe gab, den Status Quo zu hinterfragen, verfestigen sich leider Weltbilder und Überzeugungen oft so weit, dass echte Paradigmenwechsel schwer zu erzielen sind – man denke zum Beispiel an die oft schleppenden „Change Prozesse“ in traditionsreichen Vorzeigeunternehmen.
Wem die Vorstellung geistigen und persönlichen Stillstands in seinem Leben vor dem Tod ein Graus ist, sollte am besten schon beizeiten die Fähigkeit trainieren, sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf bzw. Schlamassel zu ziehen. Dazu ist es wichtig, sich der oft automatisch einsetzenden Vermeidungsstrategien und bremsenden Denkmuster bewusst zu werden. Zum Beispiel:
- Rückzug ins (vertraute) Schneckenhaus
Statt in Aufbruchsstimmung zu geraten, ziehen wir uns vor neuen und unbekannten Herausforderungen oft instinktiv dorthin zurück, wo wir uns auskennen und uns aufgehoben fühlen. Meist können wir uns über eine erstaunlich lange Zeit damit trösten, dass es uns ja „eigentlich“ gut geht, wir auf hohem Niveau jammern und es ja auch noch schlimmer sein könnte. Sorgsam ausgewählte Vergleichsaussagen, in der Psychologie auch als „Anker“ bezeichnet, sorgen dafür, dass wir im vertrauten Hafen bleiben, den Spatz in der Hand pflegen, im Sommer brav Getreide für den Winter sammeln und bei unseren Leisten bleiben – übrigens alles ganz prima Mottos, mit denen wir vernunftgesteinigten Wesen unser Gehege so lange umfrieden, bis es uns selbst zum Friedhof wird. Wenn dann irgendwann ein Sturm von außen darüber hinweg fegt, können wir oft fast von Glück sagen und nur hoffen, dass wir noch in der Lage dazu sind, zu erkennen: Lieber Krise als gar keine Chance! Besonders schwer fällt der Abschied von lange bewährten Verhaltensmustern, wenn sich diese schon in Form einer Konditionierung, zum Beispiel auf Belohnungserlebnisse in Form von Konsum, Macht, Karriere oder Status gefestigt haben. Der ehemalige Kriegsreporter und Coach Michael Schmitz zeigt auf, wie es selbst nach außen hin erfolgreiche Menschen in Sackgassen führen kann, wenn dafür die persönlichen Emotionen und Bedürfnisse konsequent und langfristig verleugnet werden und Ersatzbefriedigungen die Lücke füllen müssen. Dann entsteht schließlich ein lähmendes Vakuum, aus dem heraus es besonders schwer ist, sich auf Neues einzulassen und sich von bisher geltenden Prämissen frei zu machen.
- Schwarz-Weiß-Denken und „Ökonomisierung“
Um uns überhaupt in der Welt zurechtzufinden, sind wir auf unsere Fähigkeit angewiesen aus einer Unmenge an Sinneseindrücken zu selektieren und uns ein „Bild zu machen“. Was wir sehen und wahrnehmen, wie wir auswählen, auf welche Erfahrungen und Strategien wir dabei unbewusst zurückgreifen und wie wir sie letztlich zu Rückschlüssen und Entscheidungen verarbeiten, ist stark individuell, aber auch historisch und kulturell bedingt. Aus Sicht des eben verstorbenen Publizisten Frank Schirrmacher ist zum Beispiel eine allumfassende „Ökonomisierung“ des Menschen zusammen mit der Digitalisierung dabei, nicht nur unser Denken, sondern letztendlich auch unser Leben nachhaltig in eine bestimmte Richtung zu steuern und zu programmieren. Denn längst vertrauen wir, ganz wie es uns die „Maschinen“ Stück für Stück beigebracht haben, fast ausschließlich logisch-rationalen bzw. ökonomischen Bewertungskategorien, anstatt unserem Bauchgefühl oder unseren tatsächlichen persönlichen Erfahrungswerten. Mehr und mehr geht es um biographische Eindeutigkeit, schnelle, mehr oder weniger mechanisch gefällte Urteile, smarte Ziele, beweisbare und sichtbare Ergebnisse und unmittelbares Feedback. Die erste Information über Produkte geben heute in der Regel Bewertungs- und Vergleichsplattformen, auch Menschen reduzieren sich im Netz auf Profile und über alles und jeden wird in Windeseile auf sozialen Netzwerken und Bewertungsplattformen „gerichtet“, schwarz oder weiß, „like“ oder „don’t like“. Im Zusammenhang mit typischerweise viel langsameren und komplexeren Entwicklungs- und Veränderungsprozessen verstärkt das ordentlich den Druck: Denn das Zögern, ebenso wie das nicht rational (oder zumindest durch ausführliches Googeln) begründete Handeln, Phasen der Unentschlossenheit, Irrwege, philosophische Herausforderungen und Ambivalenzen, halten sich in einem solchen System nicht lang und werden auch immer weniger legitimierbar. Einfacher formuliert: Man muss schon gute Argumente (und kein Smartphone!) haben, um in Zeiten der totalen Navigation begründen zu können, warum man eben nicht den kürzesten oder den von den tollsten „Ich war da, ich hab’s gemacht-Beweisen“ gesäumten Lebens- oder Problemlösungsweg gewählt hat – und warum das auch gut so war. Und wann haben Sie denn zuletzt etwas getan, was sich auf den ersten Blick nicht lohnte? Gegeben, ohne zu bekommen, in den Wald gerufen, ohne zu wissen wie es herausschallt, gespielt statt gepokert, vertraut statt kontrolliert, jemandem zugehört, ohne zu bewerten? Und haben dabei mehr oder weniger zufällig einen neuen Weg entdeckt, der Sie wirklich weitergebracht hat?
Der Zukunftsforscher Matthias Horx weist in seinem „Buch des Wandels“ darauf hin: Gerade durch gewisse, auch intuitiv verfolgte Extrarunden, gezielte Perspektivenwechsel, Vertrauen und Experimente – und seien diese nur mental, gelingt „fluides Denken“. Und vor allem durch dieses erhalten sich der Einzelne, Unternehmen aber auch ganze Gesellschaften die Chance, das Leben und den Menschen in seiner ungeheuren Vielfalt zu erleben, Wandel gemeinsam zu bewirken und sich weiterzuentwickeln.
Räume für Experiment und Selbstreflexion müssen aktiv geschaffen werden. Es sollte also lieber nicht aus der Mode kommen, auch einmal den Weg zum Ziel zu machen – und gegebenenfalls müssen Sie eben selbst nachhelfen, wenn es darum geht, sich Gelegenheiten zur geistigen Bewegung und Bewusstwerdung zu schaffen.
Die meisten gordischen Knoten, mit und in denen wir leben sind selbst geknüpft und sie aufzulösen erfordert im ersten Schritt, sich die Situation in Ruhe anzusehen und zwar von außen! Erst dann rücken oft die effektivsten und gleichzeitig einfachen Lösungswege in den Blick. Diese Außenperspektive einzunehmen gelingt besser, wenn man bereit und fähig ist zur kritischen (Selbst-)Distanz und zur Interaktion mit anderen in der Absicht, von ihnen zu lernen. Um sich diese offene und neugierige Haltung zu bewahren, genügen als Training vermeintlich banale, aber längst nicht mehr für jeden selbstverständliche Dinge: Regelmäßig in Ruhe nachdenken, eine Medien- und Event-Diät machen, lesen, laufen, reisen und dafür sorgen, dass Kulturerlebnisse, echte soziale Kontakte und die Erfahrung, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen neben unseren virtuellen Arbeits- und Lebenswelten einen festen Platz haben.
Es soll so bleiben, wie es ist?! Dann halten Sie sich bloß fest!
Sollte man sich der ungeheuren Freiheit und Vielfalt an Optionen auf diesem Fleckchen des Erdballs nicht erkenntlich zeigen, indem man überall mitmischt, aus allem etwas macht und keinen Trend vorüberziehen lässt? Und ist man nicht auch gezwungen dazu, will man konkurrenzfähig, auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar und sozial anerkannt sein?
Dort (stehen) zu bleiben, wo alles gut und man eben erfolgreich oder glücklich ist, wird einem im mobilen Zeitalter nicht leicht gemacht und festzustellen, dass der Status Quo objektiv und subjektiv besser ist als der nächste Schritt in Richtung Selbstoptimierung, ist bei all der Reiz- und Versuchungsüberflutung keineswegs einfach. Doch so gesund und wichtig Veränderung im Sinne einer Befreiung von überholten, nicht mehr passenden Konzepten und Denkmustern ist, so gefährlich ist sie auch, wenn sie mehr aus Prinzip oder aus egoistischen Motiven und Interessen getrieben wird als von einem tatsächlichen Bedarf. Zum Beispiel, wenn die Umstrukturierung ganzer Abteilungen eher den auf sichtbare Ergebnisse fokussierten Karriereinteressen mittlerer Manager dient, als tatsächlich Verbesserungen zu bringen, wie Matthias Bokeloh in seinem veränderungskritischen Essay „Stillgestanden“ beschreibt.
Wenn gewichtige Argumente nicht gehört und diskutiert werden, die auch für das bewusste Festhalten an Bekanntem und Vertrautem sprechen, wenn Interessen anderer zugunsten des eigenen Erfolgs übergangen werden und wenn bei der flächendeckenden Umsetzung von Vorhaben letztendlich totalitär und ohne ausreichende Abstimmung mit den Beteiligten agiert wird, wird Veränderung zur Ideologie. Klar sehen zu können, sich nichts vormachen zu lassen und bewusst standhaft zu bleiben, erfordert dann eigentlich die gleichen Fähigkeiten, wie das Vorhaben, zu neuen Ufern aufzubrechen: Offenheit und Flexibilität im Denken und Handeln. Und nahezu den gleichen gewaltigen Mut.
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Bücher zum Thema:
Matthias Horx: Das Buch des Wandels. München: Deutsche Verlagsanstalt, 2009
Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens. München: Karl Blessing Verlag, 2013
Malcolm Gladwell: Blink! Die Macht des Moments. Frankfurt/New York: Campus, 2005
Artikel:
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